„Esther hätte es gefreut, wenn möglichst viele Leute ihr das Geleit geben.“ Mit diesen Worten hatte das Auschwitz-Komitee gemeinsam mit den Kindern und Freund*innen der Verstorbenen zur Trauerfeier für Esther Bejarano eingeladen. Das entsprach offenbar auch dem Bedürfnis von sehr vielen Menschen, die sich am 18. Juli auf und vor dem Jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf versammelten.
Vor dem aufgebahrten Sarg in der Friedhofskapelle ehrte Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher Esther Bejarano als große Bürgerin Hamburgs. Dass Esther sich nach allem, was ihr im Land der Täter widerfahren war, Hamburg als Wohnort ausgewählt habe, bezeichnete er als „großes Geschenk für die Stadt.“ Tschentscher würdigte Esthers Engagement, mit dem sie „wichtige Impulse gegeben hat für Demokratie, Erinnerungskultur und Gleichberechtigung in Deutschland.“ Im Namen des Senats versicherte er, Esthers Andenken würdigen und sich dafür einsetzen zu wollen, „ihre Botschaft weiterzutragen“.
Esthers Sohn Joram Bejarano sagte: „Dein Lachen, dein Mut, deine Entschlossenheit, deine liebevolle Art, dein Verständnis, dein kämpferisches Herz – alles, alles wird fehlen!“
Die Hauptrede hielt der bekannte Schauspieler Rolf Becker, den eine tiefe Freundschaft mit Esther verbindet und den Esther gern als ihren „kleinen Bruder“ bezeichnet hat. Er zitierte die von Esther „an mich und an uns alle gerichtete testamentarisch verfügte“ Aufforderung: „Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht. Seid solidarisch! Helft einander! Achtet auf die Schwächsten! Bleibt mutig! Ich vertraue auf die Jugend, ich vertraue auf euch! Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!“
Für Rolf Becker war Esther eine „Kommunistin“, ebenso wie ihr verstorbener Mann Nissin Bejarano „beide Kommunisten, nicht als Parteigänger, sondern im Sinne von Heinrich Heine“, mit dessen Zitat der Redner seine Ansprache begonnen hatte.
Rolf Becker nannte dann Beispiele dafür, wie Esther „Geschwisterlichkeit im weitesten Sinne“ mit ihrem umfassenden Engagement für alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens vorgelebt hat: Ihr öffentlicher Aufruf gegen das Abschieben von Roma nach Serbien und Kosovo („Sie sind wie wir in Auschwitz und anderen Lagern als unwürdig zu leben vernichtet worden!“); ihr Verurteilen des Senatsbeschlusses unter Olaf Scholz, die Flüchtlingsgruppe „Lampedusa“ in Hamburg nicht aufzunehmen („Wir können doch nicht heute immer noch Menschen wie Tiere behandeln!“); ihr Aufruf im Mai 2020 anlässlich der Corona-Krise, alle Menschen ärztlich zu versorgen, und z.B. im reichen Hamburg leerstehende Hotels für Obdachlose zu öffnen; ihr Unterstützungs-Schreiben an die Familien Arslan und Yilmaz, die Opfer von Nazi-Brandanschlägen wurden („Um es klar auszusprechen: Ohne das Wegschauen und Decken von Nazismus und Rassismus nach 1945 hätte es das Oktoberfest-Attentat, die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen und Mölln und den NSU nicht geben können…Nazis wurden und werden in diesem Land direkt oder indirekt durch politische Kampagnen und das Schweigen und Wegschauen ermutigt, weiter Hass und Leid zu verbreiten“).
Nie mehr zu schweigen, wenn Unrecht geschieht: das bezog Esther auch auf die Vertreibung und Ausgrenzung der Palästinenser durch den modernen zionistischen Staat Israel, der seit nunmehr 50 Jahren ein brutales Besatzungsregime unterhält. In diesem Zusammenhang benannte Rolf Becker eine „mehr als fragwürdige Israel-Solidarität“, die sich immer aggressiver gegen kritische Juden richte. In einem gemeinsamen Solidaritäts-Brief an Moshe Zuckermann hatten Esther und Rolf geschrieben: “Wer meint, den Antisemitismus bekämpfen zu wollen, der vermeide es vor allem, Israel, Judentum und Zionismus – mithin Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik wahllos in seinen deutschen Eintopf zu werfen um es je nach Lage opportunistisch zu verkochen und demagogisch einzusetzen.“
Rolf Becker verlas dann den Abschiedsgruß von Moshe Zuckermann aus Tel Aviv, der sich darin „zutiefst berührt von Esthers unerschütterlicher Lebensbejahung“ zeigte und „die große Leidenschaft ihrer schöpferischen Energie“ bewunderte. Esther verkörpere geradezu symbolhaft „die Möglichkeit, persönliches Lebensleid in freiheitliche Hingabe zu übersetzen, tiefe Humanität in politische Praxis umzusetzen.“
Nach Rolf Becker leitete den Schluss seiner Rede mit der Feststellung ein, „viel, viel bliebe nachzutragen. Wir werden uns in Hinblick auf die von Esther an uns weitergereichten Aufgaben darüber in Esthers Sinne austauschen müssen.“
Unter Tränen drückte er abschließend seine Trauer aus, „Trauer über den Tod meiner großen Schwester, zugleich tief empfundene Dankbarkeit dafür, was sie mir und uns war und bleibt.“ Dazu nannte Rolf Becker das spanische Wort „presente!, wie es auf Kuba heißt, wo Esther 2017 auf ihrer letzten großen Reise Solidaritätskonzerte gegen den seit 60 Jahren dauernden Boykott des Landes durch die USA gab.“ Esthers „kleiner Bruder“ Rolf Becker schloss seine ergreifende Ansprache dann mit den Worten: „Presente, Esther, du bist und bleibst anwesend, du bleibst bei uns. In Liebe, dein kleiner Bruder!“
Nach Rolf Becker sprachen noch Esthers Hamburger Freundin und Holocaust-Überlebende Peggy Parnass, Kutlu Yurtseven, Freund und Mitglied von „Microphone Mafia“ – der Band, mit der Esther u.a. auch in Lüneburg und Adendorf aufgetreten war, und der Landesrabbiner der Hamburger jüdischen Gemeinde Shlomo Bistritzky.
In einem langen Zug von Trauernden begleiteten Esthers Familie, Freundinnen und Freunde den Sarg auf dem Friedhof zur Grabstelle. Dort sprach Esthers Sohn Joram das jüdische Totengebet Kaddisch. Esther ruht jetzt neben ihrem schon 1999 verstorbenen Ehemann Nissin auf dem jüdischen Friedhof in Hamburg Ohlsdorf.
Peter Raykowski