Lüneburger „Gedenkkultur“
Ein Beitrag zur Diskussion über die Gedenkanlage an der früheren Synagoge
Einleitung
I.
Jene Lüneburg-Touristen, die nach Einkauf oder Stadtbesichtigung zu ihrem im Parkhaus „Lünepark“ abgestellten Fahrzeug auf der Reichenbachstraße zurückkehren (die Einheimischen benutzen diesen Straßenzug fußläufig bestenfalls bei einem Besuch des CineStar-Kinos), können vor ihrem Straßenübergang zur Bockelmannstraße zwei Gedenksteine entdecken.
Der erste, zwischen Reichenbach-brücke und Zufahrt zur Kaufhausstraße in einer gediegenen kleinen, lichten und gut einsehbaren Anlage gelegen, weist auf einer Inschriften-Tafel, vom Fußgänger-bereich aus gut lesbar, hin auf „die Kämpfer der ersten Lüne-burger freiwilligen Jäger“, die „den ersten Sieg der Befreiungskriege“ im April 1813 zu erringen halfen. Ein zeitgenössisches Über-lieferungsbeispiel für den Gründungsmythos der deutschen Nation also, der sich in der Folgezeit „zu einem furchtbaren Chauvinismus insbesondere gegen Frankreich steigern“ sollte (1) – mit den bekannten Folgen.
Ein zweiter Gedenkstein befindet sich in knapp 20 Meter Entfernung direkt an der Straßenkreuzung Am Schifferwall/ Reichenbachstraße, „eingeklemmt“ zwischen den Gebäuden mit den Hausnummern 4 und 5. Die genannten Lüneburg-Touristen können ihn kaum entdecken. In einer kleinen und recht dunklen, von dicht stehenden Sträuchern umgrenzten Anlage befindet sich dieser Stein, der unter einem Davidsstern die eingemeißelte Inschrift trägt: „An dieser Stelle stand der Tempel der jüdischen Gemeinde, welcher im Jahre 1938 durch Naziterror zerstört wurde.“ Darunter ein weiterer Text aus dem babylonischen Talmud (2). Die Inschriften sind wegen des fehlenden Kontrastes des Schriftzuges und wegen der zurückgesetzten Lage des Gedenksteins vom Fußweg aus nicht lesbar. Erst nach einem Durch-schreiten der umgrenzenden Sträucher in die Anlage hinein ist es möglich, diesen Text zu entziffern. Ein richtiges Verständnis für den Inhalt des Textes können allerdings die Betrachter/-innen nicht aufbringen, denn er suggeriert mit seinem Hinweis auf diesen Ort, dass es sich bei dem genannten „zerstörten Tempel der jüdischen Gemeinde“ bestenfalls um eine sehr kleine Kapelle gehandelt haben könnte. Ein größeres Gebäude jedenfalls, eine Kirche gar, kann hier keinen Platz gefunden haben.